Werner Krauß als Caligari
und Conrad Veidt als Somnambule
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Das Cabinet des Dr. Caligari (1919/20)
Hermann Warm
Wie in fast allen Fällen vor dem Anfang eines Films wurde mir das Drehbuch vom Produktionsleiter, hier Rudolf Meinert, in
Gegenwart des Regisseurs, hier Robert Wiene, übergeben. Es folgte eine übliche konventionelle Unterredung, ohne besondere
Hinweise, mit der Bemerkung, meinerseits Vorschläge zu machen. Beim Lesen dieses so anders gearteten Drehbuchs
von Carl Mayer und Hans Janowitz, dessen bizarrer Stil und eigene Formgebung mich begeisterte, erkannte ich, daß dieser
Stoff eine ebenso anders geformte, dekorative Ausgestaltung erhalten müsse, abgewandt vom Realen, ganz auf
phantastische, rein malerische Wirkung gestellt sein müsse.
Nebenbei ergäbe sich auch die Möglichkeit, meinen beiden Freunden Walter Reimann
und Walter Röhrig Einnahmen und Beschäftigung für die Dauer des ganzen Films zu geben.
Bis in die Nacht hinein lasen und diskutierten wir drei Maler das vorliegende Drehbuch. Reimann, dessen Bilder zu dieser
Zeit expressionistisch beeinflußt waren, drang mit seiner Ansicht durch, daß dieser Stoff in seiner Formgebung expressionistisch
sein müsse. Noch in gleicher Nacht wurden von uns einige Skizzen gemacht. Am anderen Tag schilderte ich Herrn Meinert
und Herrn Wiene komprimiert das Ergebnis der vergangenen Nacht, zeigte unsere ersten Skizzen und erklärte, daß nur eine
konsequente Durchführung dieses Stils, nicht nur im Dekorativen, der Eigenart des Stoffes entspräche und erst die
absolute Wirkung ergeben würde. Robert Wiene erkannte sofort die große Möglichkeit
und war sofort für diesen Stil.
Rudolf Meinert, bedächtiger abwägend, sagte für den kommen den Tag seinen Entscheid zu, der dann auch positiv ausfiel und
folgenden Satz enthielt: Er wolle die Durchführung als verrückt bezeichnen, bei dieser Art müsse man bleiben, also so verrückt
wie nur denkbar. Der Film würde ein Sensationserfolg werden, gleichviel ob die Presse positiv oder negativ entscheiden würde,
die Kritik vernichtend oder künstlerisch ganz groß gehalten sein wird, es lohne sich das Experiment in beiden Fällen.
So kam es dazu, daß der Caligari-Film in der von uns drei Malern erdachten Form, wenigstens im Dekorativen, das ja in diesem
Film das vorherrschende Moment ist, konsequent durchgeführt wurde.
über den Film:
Ob nun mit Vorbedacht oder nicht, der ,Caligari'-Film deckte eine Situation auf, in der die Seele nur zwischen Tyrannei und
Chaos zu wählen und deshalb eine verzweifelte Entscheidung zu treffen hat: denn jeder Versuch, sich aus der Tyrannei zu befreien, führt geradewegs ins Chaos.
S. Kracauer: Von Caligari bis Hitler
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